Umsatzbesteuerung interkommunaler Zusammenarbeit
Von Uwe Zimmermann und Ralph Sonnenschein, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Berlin
Mit einer Reihe jüngerer Entscheidungen haben der Bundesfinanzhof und der Europäische Gerichtshof den Rahmen der umsatzsteuerlich relevanten Tätigkeiten von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erheblich erweitert. In besonderem Maße betroffen ist das Zusammenwirken kommunaler Gebietskörperschaften, die in Deutschland traditionell ihre Ressourcen zum Zwecke der Erledigung öffentlicher Aufgaben bündeln. Durch die Umsatzbesteuerung des diesen Kooperationen zugrundeliegenden Leistungsaustausches wird das Leitmotiv Interkommunaler Zusammenarbeit, die Erzielung von Kostenvorteilen um die Leistungen für Bürger und öffentliche Haushalte qualitativ hochwertig und erschwinglich zu halten, in Frage gestellt.
Seit jeher kooperieren deutsche Städte und Gemeinden in zahlreichen Aufgabengebieten, um Kostenvorteile oder Qualitätsverbesserungen zu erreichen. Sie streben dies unter anderem an durch koordinierte Aufgabenerfüllung, Leistungserbringung einer öffentlichen Einrichtung für eine andere, die Zusammenlegung von Organisationseinheiten sowie die gemeinsamen Nutzung von Infrastruktur. Die Lage der Städte und Gemeinden ist gegenwärtig geprägt von teils starkem Bevölkerungsrückgang sowie einer vielerorts zunehmend schwierigen kommunalen Haushaltslage. Dies führt zu Konstellationen, in denen sich einige öffentliche Aufgaben von Einzelkommunen nur noch unter erheblich erhöhtem finanziellen Aufwand wahrnehmen lassen, andere gar nicht mehr. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung Deutschlands ist interkommunales Zusammenwirken wichtiger als je zuvor. Deshalb trifft die restriktive Rechtsprechung zur Umsatzsteuerbefreiung von Leistungen der öffentlichen Hand die Städte, Gemeinden und Landkreise besonders hart. Es besteht ein ganz überwiegender nationaler Konsens darüber, dass es dringend geboten ist, umfassende Reformmaßnahmen zugunsten der Zukunftsfähigkeit interkommunaler Zusammenarbeit einzuleiten. Im Folgenden werden die auf nationaler Ebene ergriffenen Maßnahmen und die diese tragenden Überlegungen dargestellt.
Traditionell ging man in Deutschland davon aus, dass zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts erbrachte Beistandsleistungen nicht umsatzsteuerpflichtig sind, wenn diese der Ausübung hoheitlicher Aufgabe dienten. Dieser Wertung lag die Meinung zu Grunde, dass auf derartige Beistandsleistungen Amtshilfegrundsätze Anwendung finden und diese somit weder ertragssteuerpflichtig noch umsatzsteuerbar sind. Zuletzt hatte dies die Oberfinanzdirektion (OFD) Niedersachsen in einer Verfügung vom 12. Januar 2012, in der sie sich zur steuerlichen Behandlung des Schulschwimmens äußerte, bestätigt. Danach begründeten weder die entgeltliche noch die unentgeltliche Überlassung eines Bades für Zwecke des Schulschwimmens durch eine Kommune an einen anderen Schulträger einen Betrieb gewerblicher Art, so dass das Entgelt nicht der Umsatzsteuer unterliege.
Mit dem sog. Turnhallen-Urteil des BFH vom 10.11.2011 (V R 41/10), das am 15.02.2012 veröffentlicht wurde, änderte sich diese Betrachtungsweise drastisch.
In dem verhandelten Fall hatte eine Gemeinde einer Anderen die Nutzung einer Turnhalle zur Durchführung des schulischen Sportunterrichts der dortigen Grundschule gegen Kostenerstattung ermöglicht. Aus Sicht des BFH ist es mit Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG (Anmerkung: heute Art. 13 Mehrwertsteuersystem-Richtlinie, MwStSysRL) nicht zu vereinbaren, Beistandsleistungen, die zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbracht werden, auch dann von der Umsatzbesteuerung auszunehmen, wenn diese zwar auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, dabei jedoch im Wettbewerb zu Leistungen Privater erbracht werden. Der BFH hat sich mit dieser Entscheidung ausdrücklich gegen die bis dato gepflogene Praxis der Finanzverwaltung gestellt.
Wegen der Tragweite des Urteils des BFH und wohl auch der Proteste der kommunalen Spitzenverbände und Innenressorts von Bund und Ländern gegen eine Umsetzung dieses Urteils erließ die Bundesfinanzverwaltung zunächst mit Schreiben vom 02.04.2012 folgenden Nichtanwendungserlass:
„Der Europäische Gerichtshof und der BFH haben in mehreren Entscheidungen zur Umsatzbesteuerung von Leistungen der öffentlichen Hand Recht gesprochen. Zur Prüfung der Konsequenzen aller Urteile wurde eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Bund und Ländern eingesetzt, die aus fachlicher Sicht Vorschläge zum weiteren Umgang mit der Rechtsprechung ausgearbeitet hat. Diese Vorschläge werden nunmehr von den übergeordneten Fachgremien auch unter Berücksichtigung der Interessen der Betroffenen bewertet. Ich gehe davon aus, dass sich die Abteilungsleiter (Steuer) nach der Sommerpause mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppe befassen werden. Bis zum Ergehen neuer Regelungen zur Umsatzbesteuerung von Leistungen der öffentlichen Hand gilt die hierzu bestehende Verwaltungsauffassung weiter. Daher wird auch das BFH-Urteil vom 10.11.2011 - V R 41/10 von der Finanzverwaltung bis auf Weiteres nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus angewandt.“
Auch wurde bisher auf eine Veröffentlichung der BFH-Entscheidung vom 10.11.2011 im Bundessteuerblatt verzichtet, da dies die Wirkung gehabt hätte, dass die Finanzbehörden die Entscheidungen allgemein anzuwenden hätten. Eine im Jahr 2012 von den Steuerabteilungsleitern von Bund und Ländern geplante Veröffentlichung mit fünfjähriger Frist zur optionalen Anwendung konnte durch die Intervention der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände verhindert werden. Im Mai 2013 fand eine gemeinsame Besprechung der Arbeitsgruppe mit Vertretern der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene statt. Im Ergebnis dieses Gesprächs bestand zwischen den Beteiligten Einigkeit, dass dem Instrument der Interkommunalen Zusammenarbeit erhebliche Bedeutung zukommt. Als gemeinsames Ziel wurde daher formuliert, für die Kommunen eine dauerhafte und rechtssichere Planungsgrundlage auch unter Beachtung unionsrechtlicher Vorschriften zu schaffen. Es wurde festgehalten, dass man sich um eine kommunalfreundliche Lösung bemühe. Die Umsatzsteuerreferatsleiter wurden gebeten, im Rahmen der bereits bestehenden Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand alle bekannten Lösungsansätze zu prüfen und gemeinsam mit Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und der Innenministerkonferenz (IMK) zu erörtern. Unterstützt wurde dieses Unterfangen auch von den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD, die in ihrem Koalitionsvertrag einen klaren politischen Auftrag formuliert hatten:
„Die interkommunale Zusammenarbeit soll steuerrechtlich nicht behindert werden. Wir lehnen daher eine umsatzsteuerliche Belastung kommunaler Beistandsleistungen ab und werden uns – soweit erforderlich – EU-rechtlich für eine umfassende Freistellung solcher Leistungen von der Umsatzsteuer einsetzen.“
Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist seit Juni 2013 mehrfach mit den kommunalen Spitzenverbänden und Vertretern der IMK zusammengekommen. Die kommunalen Spitzenverbände haben der AG einen Vorschlag für eine gesetzliche Ausklammerung interkommunaler Kooperationen von der Umsatzsteuerpflicht unterbreitet, der sich an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Freistellung bestimmter Formen interkommunaler Kooperationen vom Vergaberecht und dem hierzu entwickelten Wettbewerbskonzept orientierte. Zusammengefasst sieht er vor, juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht als Unternehmer i.S.d. § 2 UStG zu betrachten, es sei denn, diese Betrachtung führe zu relevanten Wettbewerbsverzerrungen. Wann eine solche gegeben sei, solle durch einen Kriterienkatalog bestimmt werden.
In der Sitzung wurde dieser von der Finanzseite kritisch betrachtete Ansatz durch einen Vortrag von Prof. Dr. Joachim Englisch flankiert, der an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster einen Lehrstuhl für u. a. Umsatzsteuerrecht innehat. Er vertrat insbesondere, die EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie lasse Ausnahmen von Besteuerungen für den Fall interkommunaler Kooperationen zu und entwickelte einen Kriterienkatalog zur Freistellung von Beistandsleistungen von der Umsatzsteuerpflicht. Er riet zudem ausdrücklich, schon aus Gründen der Rechtssicherheit, diese Ausnahmen nicht über einen Nichtanwendungserlass, sondern durch eine generell-abstrakte Regelung im Umsatzsteuergesetz zu normieren.
Im Einzelnen schlug er folgende Kriterien vor, unter denen der Leistungsaustausch zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts von spezifischen öffentlichen Erwägungen getragen ist und generell keine relevanten Wettbewerbsverzerrungen angenommen werden können:
- Es handelt sich um eine langfristige Kooperation (z. B. Zweckverband oder öffentlich-rechtlicher Vertrag).
- Der Leistungsaustausch dient dem Erhalt öffentlicher Infrastruktur.
- Es handelt sich um die Wahrnehmung einer allen Beteiligten gleichermaßen obliegenden öffentlichen Aufgabe.
- Es ist eine vollständige Wahrung von Einflussnahmemöglichkeiten des Leistungsempfängers gegeben.
- Die Leistung wird gegen bloße Kostenerstattung erbracht.
- Die Leistung verhält sich im Rahmen der vorhandenen Personal- und Sachmittelausstattung.
Nachdem dieser Vorschlag in der Arbeitsgruppe intensiv diskutiert und ein zwischenzeitlich favorisiertes Rückerstattungsmodell verworfen war, wurde im Jahr 2014 aus der Arbeitsgruppe heraus der Entwurf einer neuen Regelung im Umsatzsteuergesetz (§ 2b UStG) entsprechend den oben stehenden Grundsätzen entwickelt. Dieser wurde durch die Finanzministerkonferenz gebilligt und vom Bundesministerium der Finanzen in einem Gesetzesvorentwurf formuliert.
Die kommunalen Spitzenverbände haben den Entwurf in einer gemeinsamen Stellungnahme begrüßt und sehen ihn als grundsätzlich geeignet, die interkommunale Zusammenarbeit gemäß der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD vor Beeinträchtigungen zu schützen. Diskussionsbedarf wurde noch gesehen bezüglich der Besteuerung bislang unbesteuerter hoheitliche Leistungen, der Absicherung der vertikalen Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften sowie der Zusammenarbeit im Back-office-Bereich.
Die Veröffentlichung als offizieller Referentenentwurf war für das erste Quartal 2015 in Aussicht gestellt worden. Diese Ankündigung wurde jedoch nicht umgesetzt. Grund dafür war eine massive Kampagne des Wirtschaftsflügels der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die die Privatwirtschaft in ihren Wettbewerbsinteressen benachteiligt sieht. Diese forderte die Einstellung der Arbeiten an einer umsatzsteuerrechtlichen Befreiung interkommunaler Zusammenarbeit. Dem gegenüber hat das kommunalfreundliche Lager der CDU/CSU-Bundestagsfraktion klar Partei für die Fortführung des Gesetzgebungsverfahrens ergriffen. Mehrfach haben daraufhin Vertreter der kommunalen Spitzenverbände an Sitzungen der Fraktionsarbeitskreise „Finanzen“ und „Kommunales“ teilgenommen. Es wurde nochmals auf die große Bedeutung einer normativen Lösung der Umsatzsteuerproblematik interkommunaler Zusammenarbeit hingewiesen. Darüber hinaus wurde dargelegt, dass das Umsatzsteuerrecht nicht geeignet ist, die Abgrenzungsproblematik zwischen zulässiger und unzulässiger gemeindewirtschaftlicher Betätigung zu lösen. Diese Diskussion betreffe vielmehr die Subsidiaritätsklauseln der einschlägigen Landesbestimmungen sowie die dort aufgestellten Kataloge zulässiger Betätigungsfelder der Gemeindewirtschaft. Zudem seien auf Landesebene die Fragen der Nachrangigkeit der Gemeindewirtschaft zur Privatwirtschaft in den vergangenen 15 Jahren ausgiebig diskutiert und zu befriedigenden Ergebnissen geführt worden. Auch wurde versichert, dass die kommunalen Spitzenverbände keineswegs beabsichtigten, neue kommunalwirtschaftliche Betätigungsfelder zuungunsten der Privatwirtschaft zu schaffen.
Nach monatelanger teils hitziger Debatte haben sich die widerstreitenden Flügel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nun einander angenähert und Einigkeit darüber erzielt, dass an dem Gesetzesvorhaben festgehalten werden soll. Der Gesetzentwurf, der inhaltlich identisch ist mit dem Vorentwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Umsatzsteuerreferatsleiter, der im Jahr 2014 von der Finanzministerkonferenz mehrheitlich bei einer Enthaltung gebilligt worden war, wurde an den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages überwiesen. Dort war er am 29.06.2015 Gegenstand einer öffentlichen Anhörung. Die Kommunalen Spitzenverbände haben diese Gelegenheit genutzt, um - im Zusammengehen mit dem Verband kommunaler Unternehmen, der Kultusministerkonferenz, dem
Verband der Universitätsklinika Deutschlands und dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband – noch einmal Anregungen für prägnantere Formulierungen des Gesetzestextes zu geben. Diese betreffen den generellen Anwendungsbereich, die vertikalen Kooperationen, die allgemeine Zielsetzung sowie Übergangsfristen. In den nächsten Wochen wird der Finanzausschuss im Lichte der Anhörung seine Empfehlung abgegeben.
Nach bisherigen Planungen soll der Entwurf Ende September 2015 verabschiedet werden. Diese zeitliche Perspektive erscheint gegenwärtig nicht mehr sicher. Zwar ist bezüglich der Novelle des Umsatzsteuergesetzes nicht mit nennenswertem Widerstand durch den Bundesrat zu rechnen. Der Gesetzentwurf ist inhaltlich identisch mit dem Vorentwurf der Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Umsatzsteuerreferatsleiter, der im Jahr 2014 von der Finanzministerkonferenz mehrheitlich bei einer Enthaltung gebilligt worden war. Jedoch wurde der § 2b UStG nicht separat in ein Gesetzgebungsverfahren eingebracht, sondern im Rahmen des „Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ (BT-Drucksache 18/4902), mit dem ein ganzes Paket weiterer steuerrechtlicher Änderungsvorhaben umgesetzt werden soll. Einige dieser Regelungsentwürfe sind zwischen Bund und Ländern strittig und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gesetz an den Vermittlungsausschuss überwiesen und dadurch verzögert wird.
Gleichwohl in Teilbereichen noch Verbesserungspotential gesehen wird, betrachtet der Deutsche Städte- und Gemeindebund den Entwurf insgesamt als wesentlichen Fortschritt im Bemühen der kommunalen Spitzenverbände, rechtssichere Reformmaßnahmen zugunsten der Zukunftsfähigkeit interkommunaler Zusammenarbeit einzuleiten. Den Kommunen ist aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes nicht an einem unfairen Wettbewerbsvorteil gegenüber privaten Unternehmen gelegen. Vielmehr geht es darum, durch das Steuerrecht nicht in der gemeinsamen Erledigung der gesetzlichen Aufgaben behindert zu werden. Diese Zusammenarbeit ist vor allem wegen der Demographie und öffentlichen Kasseneffizienz geboten und steht im Interesse der Bürgerschaft und der Wirtschaft. Gleichwohl sind Versuche zu erwarten, die neue Umsatzsteuerregelung vor den EuGH zu bringen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sieht das optimistisch: Die Regelung ist ausgewogen und beruft sich in diesem Punkt auf das bereits bestehende europäische Vergaberecht. Auch die Bundesregierung bemüht sich in Brüssel um Akzeptanz für die deutsche Position. Wir werden wie in Berlin auch auf europäischer Ebene nicht nachlassen unser Ziel zu erreichen.