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Aktive Bürger =
Starke Kommunen

In den letzten Jahren ist in Hessen ein beispielhaftes Netz von bürgerschaftlichen Initiativen entstanden. In Zeiten immer knapper werdender öffentlicher Haushaltsmittel haben die Bürgerinnen und Bürger die Notwendigkeit erkannt, in ihrer Kommune selbst "mit anzupacken".
In Hessen sind rund 2 Millionen Menschen ehrenamtlich tätig. Neben der freiwilligen Feuerwehr engagieren sich die Bürgerinnen und Bürger in Vereinen und Organisationen im sozialen, kulturellen und sportlichen Bereich. Viele Menschen wollen sich allerdings nicht mehr in fest gefügten Strukturen engagieren. Sie wollen vielmehr punktuell und auf Zeit mitarbeiten.
Der Hessische Städte- und Gemeindebund möchte das in den Mitgliedskommunen bereits vorhandene bürgerschaftliche Engagement bekannt machen und den Anstoß, aber auch Unterstützung geben, dass in möglichst vielen Gemeinden und Städten der freiwillige Einsatz der Bürger gefördert wird.

Aktive Bürger

Dillenburg: Die vergessenen Geschichten Oberschelds

oberscheld
Bei der Präsentation des Projektes wurden alle Teilnehmer/innen ermutiget, eigene, vergessene Geschichten zu erzählen

Oberscheld, ein Stadtteil von Dillenburg im Lahn-Dill-Kreis, ist historisch stark verwurzelt mit dem Eisenerzbergbau. Bis heute prägen die Erzählungen über die Zeit der Gruben und des Hochofens das kollektive Gedächtnis des Dorfes. Daneben existierten jedoch Geschichten und Bilder, die keinen Eingang in die öffentlichen Erzählungen des Dorfes gefunden haben:

Es sind Erzählungen vom z.T. dramatischen Wandel des Dorflebens und vom drohenden Niedergang des Bergbaus Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre, von der wachsenden Bedeutung der NSDAP im Ort und von ihren großen Wahlerfolgen. Damit verbunden ist es auch die Geschichte von Hunderten von Menschen, die am Hochofen und in den Gruben um Oberscheld ab Anfang der 1940er Jahre Zwangsarbeit leisten mussten.

In dem Projekt „Die vergessenen Geschichten Oberschelds“ hat der „Jugend-Arbeits-Kreis Oberscheld“ (JAKOb e.V.) gemeinsam mit einer Gruppe Jugendlicher versucht, einen Teil dieser „vergessenen Geschichten“ des Stadtteils zu bergen und einen Bezug zu aktuell gesellschaftlichen Phänomenen wie Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus herzustellen. Eine zentrale Frage dabei war: Was können Jugendliche aus der Geschichte des Dorfes im Nationalsozialismus lernen, wie kann man Fremdenfeindlichkeit schon früh erkennen und begegnen?

Im Jahr 2013 gingen neun 15- und 16-jährige Jugendliche mit Hilfe einer pädagogischen Betreuerin und dem Projektteam von JAKOb e.V. an ihre Aufgabe. Die aktiven Jugendlichen sichteten zahlreiche Dokumente des Internationalen Suchdienstes (ITS) Bad Arolsen und des Hessischen Hauptstaatsarchivs zur Geschichte Oberschelds und sammelten alte Fotos aus dieser Zeit. Um sich auf das Projekt einzustimmen, besuchten sie die auf den Fotos abgebildeten Orte und fotografierten sie erneut – Veränderungen wurden hierdurch auf den ersten Blick sichtbar.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil des Projekts waren Interviews mit neun Oberschelder Seniorinnen und Senioren. Hierzu konzipierten die Jugendlichen einen Gesprächsleitfaden und überlegten sehr intensiv, wie sie die das Gespräch so gestalten könnten, dass sich die Interviewpartner/-innen für ihr Anliegen öffnen würden. Die Jugendlichen merkten jedoch schnell, dass viele der alten Menschen von früher erzählten: Von einer entbehrungsreichen Jugend in einer armen Zeit, vom Zusammenhalt im Dorf und dass es doch der „heutigen Jugend“ viel besser ginge als ihnen selber damals. Gleichzeitig wurde Zwangsarbeit im Rückblick als „normal“ empfunden, sehr viele Kinder und Jugendliche waren in der Hitler-Jugend, viele Erwachsene des Dorfes Mitglied der NSDAP und nicht wenige der SA. Sowohl die Dokumente als auch einige Interviews berichten darüber hinaus von Schikanierungen Andersdenkender im Ort, von Opfern der örtlichen Parteischergen und davon, wie auch in Oberscheld Zwangsarbeiter zu Tode gekommen sind.

Die Leitfadeninterviews und die Dokumente aus den Archiven wurden in einer knapp 120-seitige Broschüre, „Die vergessenen Geschichten Oberschelds“, zusammengestellt. Anschließend besuchten die Jugendlichen mit dem Projektteam den Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen und ermittelten dort in eigener Recherche Schicksale von Zwangsarbeitern, die in Oberscheld gearbeitet hatten. In einer viertägigen Freizeit in Heisterberg haben sich die Jugendlichen gemeinsam mit dem Projektteam die ersten Ergebnisse der Recherchen angeschaut. Mit Hilfe einer Theaterpädagogin wurden Szenen aus den Interviews spielerisch nachgestellt und auf die Gegenwart übertragen.

Ein ständiger Begleiter für alle Projektbeteiligten war von Anfang an die Frage, wie „das Dorf“ auf die Ergebnisse reagieren würde. Ängste und Befürchtungen, dass der Verein Schaden erleiden könne, weil die mehr oder weniger verdrängte Dorfgeschichte nunmehr zum Thema wird oder ob gar die Jugendlichen oder die Mitglieder des Projektteams als „Nestbeschmutzer“ gesehen werden würden, waren Gegenstand von zahlreichen Diskussionen. Mit besonderer Spannung wurde daher die Präsentation der „vergessenen Geschichten“ am 16. März 2014 erwartet. Die Resonanz war überwältigend: Mehr als 200 Besucher/innen kamen in die Glück-Auf-Halle in Dillenburg-Oberscheld, viele brachten alte Bilder mit, die zehn Tische des Gesprächsforums „World Café“ waren gut besucht und schließlich war die erste Auflage der Broschüre bereits zwei Wochen nach Erscheinen vergriffen.

Gefördert wurde dieses Projekt durch den Lokalen Aktionsplan Wetzlar/Lahn-Dill (www.toleranz-wz-ldk.de). Informationen zum Jugend-Arbeits-Kreis Oberscheld e.V. findet man im Internet unter www.projekt-jakob.de