Solidarität mit Flüchtlingen weiter stärken - Infrastruktur ausbauen - Nachhaltige Finanzierung sicherstellen
Die Krisen in der Welt, insbesondere im Nahen und Mittleren Osten, führen zu immer größeren Flüchtlingsströmen. Hinzu kommen die Menschen, die aufgrund der wirtschaftlichen Situation ihres Heimatlandes oder ihrer persönlichen Situation eine bessere Zukunft in Deutschland suchen.
Die deutschen Städte und Gemeinden bekennen sich zu ihrer humanitären Verpflichtung, Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber aufzunehmen und ihnen zu helfen. Andererseits dürfen die Kommunen aber auch nicht überfordert werden.
Flüchtlingszahlen steigen weiter
Diese Gefahr besteht, weil immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Im Jahr 2014 gab es insgesamt rund 203.000 Asylanträge, was einem Plus von 60 Prozent gegenüber 2013 entsprach. Zu Beginn des Jahres 2015 rechnete man noch mit rund 300.00 Asylbewerbern und Flüchtlingen. Zwischenzeitlich hat das zuständige Bundesamt für Flüchtlinge und Migration die Zahlen nach oben korrigiert und geht von mindestens 450.000 Menschen aus, teilweise werden auch über 500.000 erwartet. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Zahlen weiter so hoch bleiben werden und eine große Zahl der Menschen länger oder sogar dauerhaft in Deutschland bleiben wird.
Die Unterbringung, Versorgung und Integration von Asylbewerbern und Flüchtlingen ist eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deutschland muss sich auf diese gemeinsame große Herausforderung in den nächsten Jahren vorbereiteten. Wir brauchen eine Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa. Wir müssen uns personell, finanziell und organisatorisch neu aufstellen, um die Flüchtlingsthematik zu meistern.
Erste Maßnahmen auf den Weg gebracht
Bund und Länder haben begrüßenswerter Weise Forderungen des DStGB aufgegriffen, die zur Entlastung der Kommunen beitragen:
Der Bund will Ländern und Kommunen in diesem Jahr 1 Mrd. Euro zusätzlich zur Versorgung und Unterbringung von Asylbewerbern zur Verfügung stellen. Ab dem Jahr 2016 wird sich der Bund strukturell, dauerhaft und dynamisch an den Kosten beteiligen. Die Länder müssen diese Finanzmittel ungeschmälert an die Kommunen weiterleiten.
Bund und Länder wollen die Asylverfahren beschleunigen und bei abgelehnten Asylbewerbern den Aufenthalt aus den Erstaufnahmeeinrichtungen innerhalb von drei Monaten beenden.
Die Anstrengungen zur Integration der anerkannten Schutzberechtigten soll durch eine Ausweitung der Sprach- und berufsbezogenen Integrationskurse verbessert werden.
Der Bund stellt Immobilien des Bundes mietzinsfrei zur Unterbringung von Asylbewerbern zur Verfügung. Bund und Länder möchten möglichst kurzfristig für zusätzlichen Wohnraum im bezahlbaren Mietsegment sorgen. Bestehende und bewährte Programme sollen weiterentwickelt und aufgestockt werden.
Durch Änderungen im Baugesetzbuch können zumindest befristet Asylbewerber in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, die in Außenbereichen oder in Gewerbegebieten liegen.
Asylbewerber haben einen erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt.
Diesen ersten Schritten müssen aber noch weitere folgen:
Zusätzliche zentrale Aufnahmeeinrichtungen notwendig
Die Flüchtlingsströme werden durch die kriegerischen Auseinandersetzungen häufig weiter kurzfristig und sprunghaft ansteigen. Darauf müssen sich Bund und Länder durch die Schaffung weiterer zentraler Aufnahmeeinrichtungen besser vorbereiten. Hier sollten die Flüchtlinge mindestens drei Monate bleiben, damit ihre Verteilung in die Kommunen besser und gründlicher vorbereitet werden kann. Im Übrigen muss eine Verteilung auf die Kommunen zeitgerecht unter Angabe der Zahl der Zugewiesenen und der Herkunftsländer angekündigt werden. Damit würde die Gefahr der Überforderung der Städte und Gemeinden, die teilweise kurzfristig hunderte von Personen unterbringen müssen, reduziert.
In den Erstaufnahmeeinrichtungen müssen alle mit der Asylantragstellung verbundenen Verfahrensschritte durchgeführt werden. Eine vorzeitige Verteilung der Betroffenen verschärft die organisatorischen und finanziellen Lasten der Kommunen. Notwendig ist, dass zum einen die Länder die Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen erhöhen und zum anderen der Bund die für das laufende Jahr beabsichtigte Einstellung von 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und die für 2016 vorgesehene Schaffung von bis zu 1000 weiteren Stellen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge umsetzt, so dass eine durchschnittliche Bearbeitungsdauer von drei Monaten erreicht wird. Zurzeit dauern die Verfahren immer noch rund sieben Monate.
Rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber und weitere Ausreisepflichtige sind aus den Aufnahmeeinrichtungen zügig zurückzuführen. Es ist Aufgabe der Länder, dies konsequent durchzusetzen.
Infrastruktur ausbauen
Wir müssen sicherstellen, dass die Flüchtlinge angemessen untergebracht und versorgt werden. Viele Kommunen stoßen bei der Unter-bringung längst an Kapazitätsgrenzen. Die Zurverfügungstellung von Immobilien durch den Bund ist richtig, reicht aber nicht aus. Es ist zwingend notwendig, die bestehenden Programme zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums weiterzuentwickeln und finanziell aufzustocken. Mittelfristig ist es kostengünstiger, solide Einrichtungen zu schaffen, die auf Dauer für diese Zwecke genutzt werden können, als kurzfristig teilweise überteuerte Hotels oder private Wohnungen anmieten zu müssen.
Kostendeckende Pauschalen unverzichtbar
Die Kostenerstattung, die die Kommunen für die Unterbringung, Kleidung und Verpflegung der Menschen erhalten, ist trotz vereinzelter Verbesserungen in den Ländern weiterhin nicht flächendeckend kostendeckend. Teilweise werden noch nicht einmal 50 Prozent des notwendigen Bedarfes von den seitens der Länder gezahlten Pauschalen erfasst. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Andernfalls wird die notwendige Akzeptanz der Kommunen, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, gemindert. Die Länder sind gefordert, die Ausgaben der Kommunen einschließlich des Personalkostenaufwandes vollständig zu tragen, zumal die Flüchtlingsversorgung derzeit Aufgabe der Länder ist.
Gesundheitsversorgung neu regeln
Die Städte und Gemeinden sind durch die teilweise extrem hohen Krankenkosten der Flüchtlinge erheblich belastet. Die im Bürger-krieg erlittenen Verletzungen (teilweise Traumatisierungen, insbesondere bei Kindern) erfordern eine nachhaltige, andauernde und oft sehr kostspielige medizinische Versorgung. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch der Gesamtstaat finanzieren muss. Die Abwicklung der Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge sollte über die Krankenkassen erfolgen, um so die Kommunen bezüglich des Verwaltungsaufwandes zu entlasten. Bund und Länder sollten die Gesundheitskosten erstatten.
Zugang zum Arbeitsmarkt fördern
Asylbewerber und Geduldete dürfen nunmehr nach drei Monaten arbeiten, die Vorrangprüfung entfällt nach 15 Monaten. Viele Flüchtlinge wollen arbeiten. Dies bietet ihnen die Chance, sich zu integrieren. Wir müssen dies durch eine aktive Arbeitsmarktförderung unterstützen. Dazu zählt auch eine intensive Kooperation der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter bereits mit den Erstaufnahmeeinrichtungen. Die Jobcenter müssen durch den Bund Finanzmittel für Personal und Eingliederungsleistungen erhalten, um die Arbeitsmarktintegration zu fördern.
Um Personen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf Asyl schneller in Beruf und Gesellschaft zu integrieren benötigen wir die frühzeitige Aufnahme dieser Flüchtlinge in die Sprach- und Integrationskursprogramme von Bund und Ländern sowie zügigere Verfahren bei der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse.
Schul- und Betreuungsprogramm für Flüchtlingskinder
Zur Flüchtlingsbetreuung gehört unverzichtbar ein Schul- und Betreuungsprogramm für die Kinder, die teilweise monate- oder jahrelang nicht zur Schule gehen konnten und an keinerlei Bildungsmaß-nahmen Anteil hatten. Dabei sollten die Länder zusätzliches Personal zur Sprachförderung einsetzen. In mehreren Ländern wird derzeit ein solcher Ansatz diskutiert. Zusätzlich muss sichergestellt werden, dass die Aufnahme von einzelnen Kindern – sei es in der Schule, oder im Kindergarten – nicht mit dem Hinweis abgelehnt wird, dass die zulässige Gruppengröße bereits erreicht sei. Vorübergehend sollten hier Ausnahmen möglich sein.
Zum Stichtag 31. Dezember 2014 befanden sich bundesweit 17.955 unbegleitete Kinder und Jugendliche in vorläufigen Schutzmaßnahmen oder Anschlussmaßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Es ist in den kommenden Jahren nicht mit einem Rückgang bzw. einer Stagnation zu rechnen; Diese stehen nach der UN-Kinderrechtskonvention unter besonderem Schutz. Durch eine bundesweite Umverteilung unter Beachtung des Kindeswohls könnte die Belastung der Kommunen gerechter verteilt werden. Wir erwarten, dass den Jugendämtern die Kosten von Bund und Ländern vollumfänglich erstattet werden.
Einstufung als sicheres Herkunftsland umsetzen
Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina sind als sichere Herkunftsstaaten eingestuft worden. Ein Großteil dieser Menschen kommt aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland und nicht, weil sie politisch verfolgt werden.
Dies gilt auch für die Flüchtlinge aus dem Kosovo, aus Albanien und aus Montenegro. Unser Asylsystem knüpft an die politische Verfolgung an und ist nicht das geeignete Instrumentarium, um Wirtschaftsflüchtlingen zu helfen.
Hier sollten wir unsere Anstrengungen darauf konzentrieren, den Menschen in den Herkunftsländern zu helfen, so dass sie sich dort eine Perspektive aufbauen können. Kosovo, Albanien, Montenegro sollten als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, damit aussichtslose Asylanträge noch rascher bearbeitet werden können.
Rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber müssen zügig ausgewiesen werden. .
Flüchtlingshelfer im Bundesfreiwilligendienst
Viele Menschen wollen sich für Flüchtlinge engagieren. Das sollte der Staat stärker unterstützen und könnte z. B. im Bundesfreiwilligen-dienst weitere Plätze für Integrations- und Flüchtlingshelfer schaffen.
Bürgerschaftliches Engagement für Flüchtlinge stärken
Viele Menschen – insbesondere diejenigen, die selbst aus den Herkunftsländern stammen – sind bereit, Flüchtlinge „privat“ auf-zunehmen. Das sollten wir fördern, zumal ein solches Engagement die Akzeptanz von Flüchtlingen in unserer Gesellschaft nachhaltig fördern kann.
Das setzt allerdings voraus, dass die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen (Verwaltungsvorschriften) angepasst werden, um solche Unterbringungen – sei es bei Privatpersonen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen wie beispielsweise Kirchen – ermöglicht werden.
Lage- und Kommunikations-zentrum und Task-Force Flüchtlinge
Bund, Länder und Kommunen sollten ein Lage- und Kommunikationszentrum (z .B. beim Bundesministerium des Inneren) schaffen. Hier sollten die Informationen gesammelt, aufbereitet und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.
Wir müssen in der deutschen Gesellschaft für die humanitäre Aufgabe der Flüchtlingsaufnahme immer wieder werben und uns mit dem Widerstand, der teilweise vor Ort entsteht, auseinandersetzen. Auch viele gute Beispiele, die aufzeigen, dass Flüchtlinge aus Lebensgefahr gerettet werden konnten, in Deutschland aufgenommen wurden und nach wenigen Monaten einen Arbeitsplatz fanden, könnten darüber kommuniziert werden.
Eine Task-Force aus Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen sollte die verabredeten Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit prüfen und bei aktuellen Entwicklungen gemeinsam über die notwendigen Konsequenzen beraten. Die kommunalen Spitzenverbände sollten im Übrigen auch konsequent in die Bund-Länder Besprechungen und Arbeitsgruppen zur Flüchtlings- und Asylpolitik einbezogen werden.
Gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik umsetzen
Deutschland allein kann nicht alle Flüchtlingsprobleme lösen. Notwendig ist eine gemeinsame europäische Asyl- und Bürgerkriegsflüchtlingspolitik, die einen gemeinsamen Raum für Schutz und Solidarität gewährleistet. Dazu gehört auch eine Außen- und Entwicklungspolitik, die die Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpft.
Erforderlich ist eine solidarische Verteilung bei der Aufnahme von Asylbewerbern. Davon sind wir weit entfernt. Notwendig ist ein europäisches Quotenmodell nach dem Vorbild des Königsteiner Schlüssels, dass Flüchtlinge gerechter über Europa verteilen würde. Selbstverständlich wird man dabei die Größe, die Wirtschaftskraft und die allgemeine Situation des jeweiligen Landes zu berücksichtigen haben. Für eine Übergangszeit sind besonders betroffene Staaten zu entlasten.
Zu einer europäischen Asylpolitik gehört auch, dass einheitliche humanitäre Standards gelten, die von allen Mitgliedstaaten eingehalten werden müssen, damit den Flüchtlingen eine gesicherte Lebens- und Integrationsperspektive geboten werden kann. Die EU darf nicht tolerieren, wenn einzelne Mitgliedsstaaten durch völlig ungenügende Asyl-Standards versuchen, die Flüchtlingsströme von sich fern zu halten..
Menschen in Herkunftsregionen helfen – Schleuserkriminalität bekämpfen
Die Europäische Union sollte auch gemeinsam und entschlossen gegen Schleuserbanden vorgehen, die mit dem Leid der Menschen Geld verdienen und skrupellos vielfach das Leben der Flüchtlinge aufs Spiel setzen.
Gleichzeitig werden wir die dramatischen Flüchtlingsströme nur dann bewältigen können, wenn wir den Menschen auch in den Herkunftsländern deutlich besser und gezielter helfen. Dabei können sogenannte Aufnahmezentren in den Herkunftsgebieten ein Baustein sein. Insoweit ist es durchaus denkbar, dass die Europäische Union mit den Herkunftsländern verbindliche Vereinbarungen trifft, damit den Flüchtlingen in den Herkunftsländern oder in den Nachbarstaaten vor Ort besser unter humanitären Standards geholfen werden kann. Das wäre zugleich ein wirksamer Beitrag, um die lebensgefährlichen Überfahrten über das Mittelmeer zu reduzieren und die Schleuserkriminalität zu bekämpfen.
EU-Sonderbeauftragter für Flüchtlinge
Die vielfältigen Aktivitäten der EU sollten an der Stelle einer Sonderbeauftragten bzw. eines Sonderbeauftragten gebündelt und damit wirkungsvoller umgesetzt werden. Dazu gehört auch eine gemeinsame europäische Außenpolitik, die die Fluchtgründe in den Herkunftsländern bekämpft. Mit Blick auf die Wirtschaftsflüchtlinge aus EU-Mitgliedsländern (Armutsmigration) ist hier die EU auch mit ihren Strukturfördermitteln in den Herkunftsländern besonders gefordert.
(DStGB Berlin, 18. Juni 2015)