Studie zur kommunalen Flüchtlings- und Integrationspolitik
Eine Studie des Instituts für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (DESI) zur „Kommunalen Flüchtlings- und Integrationspolitik“ hat untersucht, welche die wichtigsten Instrumente einer strategischen Steuerung von Integrationspolitik in Kommunen sind und wo flüchtlingspolitische Erweiterungen und neue Schritte als notwendig erachtet werden, um den migrationspolitischen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen.
Dezentrale Unterbringung, Sprache und Bildung sowie Information, Engagement und Beteiligung der Bevölkerung sowie die Gewährleistung von Sicherheit und die Prävention von Fremdenfeindlichkeit werden darin von den Kommunen als die wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen angesehen. Fast 90 der befragten Kommunen sehen das starke freiwillige Engagement der Bevölkerung als zentrale Ressource für die Bewältigung dieser Aufgaben.
Die zugrundeliegende Befragung der Studie wurde in Anknüpfung an die Empfehlungen der kommunalen Spitzenverbände zur Integrationspolitik inhaltlich abgestimmt.
Das Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (DESI) hat in Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenverbänden und der Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration eine Studie zur „Kommunalen Flüchtlings- und Integrationspolitik“ veröffentlicht.
In Anknüpfung an Empfehlungen der kommunalen Spitzenverbände zur Integrationspolitik wurde mit Hilfe der Online-Umfrage zur „Kommunalen Flüchtlings- und Integrationspolitik“ geklärt, auf welche Art und Weise eine strategische Steuerung von Integrationspolitik in den Kommunen erfolgt und wo flüchtlingspolitische Erweiterungen und neue Schritte als notwendig erachtet werden, um aktuell und auf mittlere Sicht den migrationspolitischen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen.
An der Umfrage haben sich im Erhebungszeitraum vom 25. Januar 2016 bis zum 05. März 2016 insgesamt 270 Städte, Landkreise und Gemeinden beteiligt. Ein Vergleich der Stichprobe mit der Verteilung der Kommunen in Deutschland zeigt, dass sich an der Umfrage ungefähr jede zweite Großstadt, jeder fünfte Landkreis, jede zehnte Mittelstadt und jede 25. Kleinstadt beteiligt hat. Zudem wurden 31 Gemeinden unter 5.000 Einwohner/innen erreicht, die fast drei Viertel aller Gemeinden in Deutschland stellen.
Wesentliche Ergebnisse der Studie
- Bürgerschaftliches Engagement als zentrale Ressource
Auch Anfang 2016 sehen Kommunen im starken freiwilligen Engagement der Bevölkerung die zentrale Ressource für die Bewältigung der aktuellen Aufgaben und Herausforderungen bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Dies betonen nahezu 90 Prozent aller befragten Kommunen. Drei von vier Kommunen verweisen zudem auf aktive Willkommens- bzw. Flüchtlingsinitiativen und heben die Offenheit und das Engagement ihrer Vereine hervor. Diese Aussagen widersprechen populären Einschätzungen, wonach das spontane Engagement im letzten Herbst bereits abgeebbt und in Enttäuschung umgeschlagen sei. Offensichtlich ging es vielen Engagierten nicht nur um schnelle Nothilfe, sondern sie zeigen auch Bereitschaft zum dauerhaften Engagement. Das überraschend intensive und anhaltende freiwillige Engagement zeigt zudem, dass die Befunde der Freiwilligensurveys zu einer generell angewachsenen Bereitschaft zum Engagement in Bevölkerung belastbar sind. Bei entsprechenden Herausforderungen engagieren sich offensichtlich auch Menschen, die dafür bisher keinen Anlass oder keine Gelegenheit gesehen haben. Eine gemeinschaftliche Unterstützung von Menschen in Not, die aus fernen Ländern und Kulturen kommen, setzt eine Mobilisierung von Empathie und Interesse voraus, die über klassische Motive von Engagement hinausreicht.
- Kommunen sind bereits im Integrationsmodus angelangt
Auch wenn es an vielen Orten noch Herausforderungen in der Erstversorgung und Unterbringung gibt, stellt sich die große Mehrzahl der Kommunen bereits zu Beginn des Jahres 2016 der Aufgabe, die Geflüchteten und Zugewanderten zu integrieren. Im Unterschied zu vielen öffentlichen Äußerungen hat die Integration vor Ort längst begonnen und wird nicht als Aufgabe angesehen, der man sich erst in Zukunft widmen wird. Dezentrale Unterbringung, Sprache und Bildung sowie Information, Engagement und Beteiligung der Bevölkerung werden von den Kommunen als die wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen angesehen. Es folgen Themen wie die Schaffung von Zugängen zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Kompetenzfeststellung und Qualifizierung, gesundheitliche Versorgung und psychosoziale Betreuung sowie Förderung interkultureller Begegnungen, aber auch die Gewährleistung von Sicherheit und die Prävention von Fremdenfeindlichkeit. Kommunen sind in einer Vielzahl von Handlungsfeldern gefordert, damit Integration auf mittlere Sicht gelingt.
- Integration von Flüchtlingen als lokale Gemeinschaftsaufgabe
Gute Kooperationsbeziehungen in der Kommune sowie die Koordination und Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements durch die Verwaltung rangieren an zweiter Stelle bei der Frage nach den wichtigsten kommunalen Ressourcen. Dies bestätigen vier von fünf bzw. mehr als zwei Drittel der Kommunen. Mehr als 80 Prozent der Kommunen sehen in der Information und Einbindung der Bevölkerung eine zentrale Aufgabe. Mit der Flüchtlings- und Integrationspolitik beginnt sich offensichtlich ein lokales Handlungsfeld zu entwickeln, das zentral auf gleichberechtigte Kooperationsbeziehungen zwischen Politik, Verwaltung und engagierter Bürgerschaft setzt. Das ehrenamtliche Engagement wird nicht als Notnagel betrachtet, der in besseren Zeiten professionell ersetzt werden kann. Vielmehr werden produktive Kooperationsbeziehungen mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren vor Ort und die Einbindung der Bevölkerung insgesamt als wichtige Gestaltungsaufgaben kommunaler Integrationspolitik angesehen. Entsprechend unterstützen mehr als zwei Drittel aller Kommunen Flüchtlings- und Willkommensinitiativen oder fördern Lotsen-, Mentoren- und Patenprojekte.
- Noch immer große Offenheit für Flüchtlinge
Mehr als zwei Drittel der Kommunen sprechen auch in den ersten Monaten des Jahres 2016 von einer positiven Grundstimmung und einer ausgeprägten Offenheit in der lokalen Bevölkerung. Bei der Frage nach den zentralen kommunalen Aufgaben und Herausforderungen bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen landet das Thema fremdenfeindliche Proteste auf dem letzten Platz. Weniger als die Hälfte aller Kommunen sehen deren Einhegung und Prävention als vordringlich an.
Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und fremdenfeindliche Übergriffe erzeugen zuweilen ein Zerrbild, das durch anmaßende rechtspopulistische Mobilisierungen bekräftig wird („Wir sind das Volk!“). Von einigen Regionen und Orten abgesehen, sind flüchtlings- und fremdenfeindliche Stimmungen und Mobilisierungen keineswegs vorherrschend. Gleichwohl sind sie ein Thema, das in der kommunalen Integrationspolitik durchaus beachtet wird. In der öffentlichen Debatte wird aber nicht selten die Abwehr gegenüber Flüchtlingen in der lokalen Bevölkerung überbetont.
- „Wir können Integration“
Kommunen verfügen nicht nur über eigene integrationspolitische Erfahrungen, sondern haben in der Vergangenheit in großer Zahl Grundstrukturen für eine erfolgreiche Integrationspolitik entwickelt. Drei von vier Kommunen messen der Integration der Zugewanderten einen hohen Stellenwert bei und fast die Hälfte sieht in einer strategisch ausgerichteten Integrationspolitik eine wichtige Ressource. Dazu gehören für zwei von drei Kommunen die Verankerung von Integration als Querschnittsaufgabe und ein kommunales Integrationskonzept. Mehr als die Hälfte der befragten Kommunen sprechen sich für ein Konzept bzw. Leitbild zur Integration von Flüchtlingen aus. Der Grad der Vernetzung zentraler integrationspolitischer Akteure in der Kommune wird von mehr als der Hälfte der befragten Kommunen mit sehr gut oder gut bewertet.
In öffentlichen Debatten wird zuweilen fälschlich der Eindruck vermittelt, als wäre mit der verstärkten Zuwanderung von Flüchtlingen in der zweiten Hälfte des Vorjahres eine gänzlich neue und unbekannte Herausforderung für die Kommunen entstanden. Integration ist für Kommunen keine „terra incognita“. Sie verfügen mehrheitlich über Erfahrungen und Wissen, wie Integration vor Ort gelingen kann, auch wenn die großen Zahlen der letzten Monate eine besondere Herausforderung darstellen. Strategische Integrationskonzepte hat die kommunale Ebene bereits für den Nationalen Integrationsplan (2007) und den Nationalen Aktionsplan Integration (2011) mit breiter Resonanz ausgearbeitet. Kommunen können in der aktuellen Situation vielerorts auf etablierte Netzwerke, professionelle Einrichtungen und Kooperationen mit der lokalen Zivilgesellschaft (Flüchtlingsräte, Migrantenorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Vereine) zurückgreifen. Neue Initiativen haben sich in den letzten Monaten spontan gebildet. Sie einzubinden und von den Erfahrungen der Engagierten zu lernen, stellt eine wichtige Herausforderung für die Stärkung der kommunalen Handlungsfähigkeit dar.
- Kommunen benötigen dringend zusätzliche und verlässliche Ressourcen
Dezentrale Unterbringung, Gemeinschaftsunterkünfte, Sprachkurse, Betreuungs- und Bildungseinrichtungen, Qualifizierungsangebote, Zugänge zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, gesundheitliche und psychosoziale Betreuung und die Sorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden von den Kommunen als zentrale Herausforderungen benannt. Für diese klassischen Handlungsfelder kommunaler Integrationspolitik sind zusätzliches Personal und eine erweiterte finanzielle Unterstützung unabdingbar. Mehr als 90 Prozent der befragten Kommunen sehen in der verbesserten Kostenerstattung durch Bund und Länder eine zentrale Gelingensbedingung ihrer kommunalen Integrationsanstrengungen.
Sie signalisieren zudem besonderen Unterstützungsbedarf bei Sprach- und Integrationskursen, beim Ausbau von Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungseinrichtungen, bei der Stärkung der Arbeitsmarktintegration und der Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus. Rund 70 Prozent fordern eine Entlastung bei den Kosten für die Gesundheitsversorgung. Drei von vier Kommunen melden an, dass zusätzliches Personal in der Kommunalverwaltung erforderlich ist. Auch wenn die Finanzlage in den Kommunen ebenso unterschiedlich ist wie ihre Ausstattung mit zentralen integrationspolitischen Ressourcen (Wohnungen, Arbeitsplätzen, Sozial- und Bildungseinrichtungen etc.), signalisieren die Rückmeldungen, dass die Kommunen die Integration der Neuankommenden über die akute Nothilfe hinaus als eine Daueraufgabe begreifen, die nur gelingen kann, wenn sie die dafür nötige Unterstützung durch Bund und Länder erfahren. Das vielfältige Engagement der örtlichen Gemeinschaft ist zwar eine zentrale Ressource, aber sie allein kann diesen Unterstützungsbedarf für professionelle Strukturen und Einrichtungen nicht dauerhaft kompensieren.
- Integration von Flüchtlingen als föderale Gemeinschaftsaufgabe
Mehr als 90 Prozent aller befragten Kommunen sehen in der verbesserten Koordination der Flüchtlingspolitik im Bundesstaat eine große Herausforderung. Zudem erwarten mehr als drei Viertel aller Kommunen Initiativen von Bund und Ländern zur Stärkung der kommunalen Flüchtlings- und Integrationspolitik. Dabei sind sie durchaus bereit, ihre besondere Rolle als lokale Integrationsmotoren wahrzunehmen. Fast zwei Drittel der Kommunen spricht sich für eine Verankerung von Integration als kommunale Regelaufgabe aus. Offensichtlich klafft zwischen dem wohlfeilen Bekenntnis „Integration findet vor Ort statt“ und der Bereitschaft, die Kommunen im föderalen Gefüge mit den dafür notwendigen Kompetenzen und Ressourcen auszustatten, eine erhebliche Lücke. Sie ist durch die aktuellen Herausforderungen der Flüchtlingspolitik noch größer geworden.
Die Umfrage knüpft dabei an Ergebnisse einer Studie zum „Stand der kommunalen Integrationspolitik in Deutschland“ an, in der 2011 erhoben wurde, in welchem Umfang die Empfehlungen der kommunalen Spitzenverbände zur Weiterentwicklung der kommunalen Integrationspolitik umgesetzt wurden und inwieweit die Umsetzung von Maßnahmen im Rahmen eines integrationspolitischen Gesamtkonzepts erfolgt.
Die Studie ist unter www.dstgb.de im Schwerpunktbereich „Asyl und Flüchtlinge“ abrufbar.
(DStGB, 25.05.2016)