Auslegungshinweise zum Gesetz zur Sicherung der kommunalen Entscheidungsfähigkeit und zur Verschiebung der Bürgermeisterwahlen (Drs. 20/2591) vom 24.03.2020 (GVBl S. 201)
Mit Veröffentlichung vom 27.03.2020 im GVBl, S. 201 ist das vorstehend aufgeführte Gesetz am 28.03.2020 in Kraft getreten. Im Zusammenhang mit dem neu eingefügten § 51 a HGO ergeben sich in der Beratungspraxis Auslegungsfragen.
Im Zusammenhang mit dem neu eingefügten § 51 a HGO ergeben sich in der Beratungspraxis Auslegungsfragen. In Abstimmung mit dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport geben wir folgende Auslegungshinweise:
1. Nicht eindeutig ist der Begriff „dringende Angelegenheiten“ gem. § 51 a Abs. 1, S. 1 HGO. Nach der Gesetzesbegründung ist Voraussetzung, dass ein Aufschub der Entscheidung bis zur nächsten regulären bzw. bis zu einer Sondersitzung der Gemeindevertretung nicht ohne Schaden für die Gemeinde möglich ist. Da die Gesetzesbegründung keine weiteren Auslegungshinweise liefert, kann ergänzend auf die Kommentierung zu § 58 Abs. 1 HGO bzw. ergänzend aus § 70 Abs. 3 HGO verwiesen werden, bei der in „eiligen Fällen“ eine Abkürzung der Ladungsfrist in Betracht kommen. Nach der Kommentarliteratur liegen „eilige Fälle“ grundsätzlich dann vor, wenn durch plötzliche Ereignisse die Durchführung einer Sitzung unaufschiebbar wird oder bestimmt Fristen zu wahren sind (Schneider/Dressler, Hessische Gemeindeordnung, § 58 RN 3). Ergänzend wird in der Kommentarliteratur vertreten, dass eilige Fälle auch dann vorliegen, wenn Fristen ablaufen oder Gefahr in Verzug vorliegt (Bennemann in Kommunalverfassungsrecht Hessen, Kommunal- und Schulverlag, § 58 RN 33).
Ergänzend stellt § 51 a Abs. 1 HGO darauf ab, dass eine vorherige Entscheidung der Gemeindevertretung nicht eingeholt werden kann und Gründe des öffentlichen Wohls keinen Aufschub dulden. Dies macht deutlich, dass eine Befassung des Ausschusses nur ein Eilentscheidungsrecht beinhaltet. Dieses bezieht sich auch auf Entscheidungen, die im Ausschließlichkeitskatalog des § 51 HGO definiert sind.
Das Eilentscheidungsrecht des Ausschusses tritt zwar an die Stelle einer Entscheidung der Gemeindevertretung, dennoch kann die Gemeindevertretung in ihrer nächsten Sitzung die Eilentscheidung wieder aufheben, soweit nicht durch ihre Ausführung bereits nicht mehr rückgängig zu machende Rechte Dritter entstanden sind (§ 51 a Abs. 1 S. 7 HGO). Damit wird die Entscheidungsbefugnis der Gemeindevertretung in Gänze nicht aufgehoben.
2. Beispiele für dringende Angelegenheiten:
Gerichtliche Fristen zulässig
Haushalt zulässig; Nachtragshaushalt zulässig
Festlegung neuer Wahltermine zulässig
Satzungen grundsätzlich nicht zulässig
Bebauungsplan grundsätzlich nicht zulässig
3. Die Entscheidung, ob eine „dringende Angelegenheit“ vorliegt, obliegt dem Vorsitzenden des betreffenden Ausschusses (in der Regel der Vorsitzende des Finanzausschusses). Der Vorsitzende hat sich hierzu zuvor mit dem Stadtverordnetenvorsteher zu verständigen. Ein Einberufungsrecht des Bürgermeisters besteht nicht, da in § 62 Abs. 5 HGO nicht auf § 56 HGO verwiesen wird. Es besteht damit lediglich die Möglichkeit, bei dem Vorsitzenden anzuregen, eine Sitzung einzuberufen. Hierzu können mögliche Verhandlungsgegenstände unterbreitet werden.
4. Sollte nicht der Finanzausschuss, sondern ein von der Gemeindevertretung für diese Zwecke besonders eingerichteten Ausschusses gebildet worden sein, gilt das zu Ziff. 1 bis 3 Aufgeführte entsprechend. Voraussetzung für die Einrichtung eines solchen Ausschusses für Eilangelegenheiten ist jedoch, dass die Gemeindevertretung zuvor zusammengekommen ist und einen entsprechenden Ausschuss einrichtet und sich dieser konstituiert hat
5. Die Beschlüsse werden grundsätzlich auch hier, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst (§ 54 Abs. 1 HGO).
6. Grundsätzlich tagt der Finanzausschuss bzw. der neu nach § 51 a HGO gebildete Eilausschuss in öffentlicher Sitzung, (§ 62 Abs. 5 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 HGO).
Allerdings besteht die Möglichkeit, dass der Ausschuss in nicht öffentlicher Sitzung tagen kann (Ermessen). Hierzu muss der Ausschuss jedoch zuvor entsprechend gem. § 52 Abs. 1 HGO eine mehrheitliche Entscheidung treffen, was in Anbetracht der vorliegenden Infektionslage angeraten ist aber mit dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Sitzungen im Einzelfall abzuwägen ist. Die öffentliche Bekanntmachung der Sitzung bleibt hiervon unberührt. Ungeachtet dessen sind die Ergebnisse der in nicht öffentlicher Sitzung gefassten Beschlüsse in geeigneter Form den Gemeindevertretern und der Öffentlichkeit bekannt zu geben (Arg. § 52 Abs. 2 HGO).
7. Das nach § 51 a Abs. 1 S. 3 HGO mögliche Umlaufverfahren kann auch dann stattfinden, wenn jemand widerspricht. In der Neureglung ist insoweit keine Einschränkung geregelt, wie dieses z.B. in § 67 Abs. 1 HGO für den Gemeindevorstand normiert ist. Zwar ist dem Wortlaut des Gesetzes eine vorherige Zustimmung des Ausschusses zum Umlaufverfahren nicht vorgesehen, sollte sich die Mehrheit jedoch dagegen aussprechen, so wäre zu einer gegebenenfalls nicht öffentlichen Sitzung des Finanzausschusses einzuladen.
Das Umlaufverfahren kann in schriftlicher oder elektronischer Form erfolgen. Die Beratungen können auch mittels Telefon- oder Videokonferenzen erfolgen, um anschließend Entscheidungen im Umlaufverfahren treffen zu können.