Teilhabe von Fraktionen verfassungsfeindlicher Parteien an Fraktionszuwendungen
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat über die Teilhabe von Fraktionen verfassungsfeindlicher Parteien an Fraktionszuwendungen am 05.04.2017 entschieden (Urteil vom 05.04.2017, Az.: 8 C 459/17.N). Der Hessische Städte- und Gemeindebund hat in diesem Verfahren die Prozessvertretung der Stadt Büdingen übernommen.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat in den Entscheidungsgründen festgestellt, dass die Änderung der Entschädigungssatzung, wonach von den Fraktionszuwendungen Fraktionen aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen ausgenommen werden, unwirksam ist.
Hinsichtlich der Unbegründetheit des Normenkontrollantrages wurde im Wesentlichen darauf abgestellt, dass ein Ausschluss von Fraktionen aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen von den Fraktionszuwendungen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletze und die Ungleichbehandlung sachlich nicht gerechtfertigt sei.
Zwar wurde in dem Urteil festgestellt, dass mit der Ungleichbehandlung ein legitimes Ziel verfolgt werde, allerdings das Differenzierungskriterium („aus Vertretern erkennbar verfassungsfeindlicher Parteien/Vereinigungen“), an das die zur Zielerreichung vorgenommene Ungleichbehandlung anknüpft, nicht zulässig sei. Des Weiteren wurde festgestellt, dass auch kein angemessenes Verhältnis zwischen Differenzierungsziel und Kriterium vorliege.
Das von der Kommune gewählte Ziel, Parteien und Vereinigungen, deren politisches Konzept erkennbar auf die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung gerichtet sei („erkennbar verfassungsfeindlich“), nicht noch durch finanzielle Zuwendungen der Stadt zu begünstigen, wurde vom Gericht als nicht zu beanstandendes Ziel angesehen.
Das gewählte Differenzierungskriterium wurde jedoch vom Gericht als unzulässig angesehen. Festgestellt wurde, dass die Ungleichbehandlung im Widerspruch zu Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG stehe, wonach u. a. niemand wegen seiner politischen Anschauung benachteiligt werden dürfe. Auch könne das Differenzierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG nach geltender Verfassungslage und einfach gesetzlichem Recht nicht durch die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine wehrhafte Demokratie aufgehoben werden. Eine zulässige Durchbrechung dieses sog. Diskriminierungsverbotes wegen politischer Anschauung zu Lasten einer Partei bzw. Vereinigung sei erst dann möglich, wenn die erkennbare Verfassungsfeindlichkeit zu einem Verbot der Partei durch das Bundesverfassungsgericht bzw. zu einem behördlichen Verbot der Vereinigung geführt habe. Bis zu diesem Zeitpunkt sei selbst eine erkennbare Verfassungsfeindlichkeit kein zulässiges Unterscheidungskriterium. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. Januar 2017 (Az.: 2 BVB 1/13) habe an dieser Rechtslage auch nichts geändert. In dem Urteil habe vielmehr das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm ausschließlich die Feststellung der Verfassungswidrigkeit als Rechtsfolge vorsehe (vgl. Bundesverfassungsgericht, a. a. O. Rdnr. 526, 625). Bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht und dem damit einhergehenden Verbot einer Partei sei auch deren erkennbare Verfassungsfeindlichkeit (weiterhin) kein zulässiges Differenzierungskriterium, das eine Durchbrechung des Diskriminierungsverbotes aus Art. 3 Abs. 3 GG rechtfertige.
Weiterhin hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass es auch an einem angemessenen Verhältnis zwischen Differenzierungsziel und –kriterium fehle. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass das Ziel der Stadt, „erkennbar verfassungsfeindliche Parteien/Vereinigungen“ von der finanziellen Zuwendung der Stadt abzuschneiden, nicht geeignet sei, das Ziel der Stadt zu fördern. Denn der durch Satzungsänderung herbeigeführte (Zuwendungs-)Ausschluss betreffe sowohl nach seinem Adressaten als auch nach seiner tatsächlichen Wirkung, die dem staatlichen Bereich zuzurechnenden Fraktionen und nicht die dem gesellschaftlichen Bereich zuzuordnenden Parteien und Wählergruppen. Auch wenn die Fraktionen Bindeglieder zwischen den Parteien/Vereinigungen im gesellschaftlichen Bereich und der Stadtverordnetenversammlung im staatlichen Bereich seien, so seien sie doch rechtlich Gliederungen der Vertretungskörperschaft. Das Recht eines gewählten Stadtverordneten, sich mit anderen gewählten Stadtverordneten zu einer Fraktion zusammenzuschließen (§ 36a Abs. 1 S. 1 HGO) sei Ausdruck des freien Mandates der Stadtverordneten (§ 35 Abs. 1 HGO) als organschaftliche Mitwirkungsbefugnis. Folglich seien die in Rede stehenden Fraktionszuschüsse zweckgebundene Zuwendungen. Sie würde ausschließlich dazu dienen, den sich aus der Fraktionstätigkeit ergebenden Finanzierungsbedarf für die Fraktionsgeschäftsführung, d. h. für die Bündelung und Koordinierung der Arbeiten in der Stadtverordnetenversammlung und in Ausschüssen, ganz oder teilweise zu decken.
Ebenso wurde in dem Urteil weiter ausgeführt, dass Fraktionen durch einen Ausschluss von Finanzmitteln zur Fraktionsgeschäftsführung, die an die politische Anschauung ihrer Mitglieder knüpfe, in ihrem Recht auf Gleichbehandlung beeinträchtigt würden. Dieses durch Art. 3 Abs. 1 GG garantierte Gleichheitsrecht der Fraktionen stoße auf den strengen Grundsatz der formalen Gleichheit der gewählten Stadtverordneten, indem sich wiederum der Grundsatz der formalen Wahlrechtsgleichheit nach Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG fortsetze, der für die Wahl und den Wahlvorgang gilt. Die Stadtverordneten als Mitglieder der von einem Ausschluss betroffenen Fraktionen würden durch diesen demgemäß mittelbar in ihrem durch formale Gleichheit charakterisierten freien Mandat beeinträchtigt. Hintergrund hierfür sei, dass der Gesichtspunkt der politischen Anschauung der in einer Fraktion der Stadtverordnetenversammlung zusammengeschlossenen Stadtverordneten, der in deren Partei- oder Vereinigungszugehörigkeit zum Ausdruck komme, für eine Zuteilung von Fraktionszuwendungen kein sachgerechtes Merkmal sei. Dieser Gesichtspunkt sei für die Bestimmung des durch die Fraktionszuwendungen nach deren Zweckbestimmung ganz oder teilweise zu deckenden Bedarfs ohne jede Bedeutung. Außerdem gelte in diesem Zusammenhang, dass selbst eine „erkennbar verfassungsfeindliche“ politische Auffassung von gewählten Stadtverordneten Konsequenzen für deren Mandatsausübung erst nach dem Verbot der Partei- oder Wählergruppe haben dürfe, der sie angehören. § 35 Abs. 1 S. 1 KWG bestimmt insoweit, dass Vertreter, die der Partei oder Wählergruppe zur Zeit der Antragstellung oder der Verkündung der Entscheidung angehört haben, ihren Sitz verlieren, wenn eine Partei durch das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 21 GG für verfassungswidrig erklärt oder eine Wählergruppe rechtskräftig verboten wird.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat jedoch aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision im Urteil bereits zugelassen.
Die Stadt hat zwischenzeitlich beschlossen, die Revision einzulegen.
Hinsichtlich der derzeitigen Verfassungslage, wonach eine Differenzierung in der Fraktionsfinanzierung, die an die politische Ausrichtung der Fraktionsmitglieder anknüpft, nach der Rechtsprechung und Literatur derzeit unzulässig sei, ist insbesondere auf das derzeitige Gesetzgebungsvorhaben im Bundesrat und Bundestag hinzuweisen, wonach ein Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes zum Zwecke des Ausschlusses extremistischer Parteien von der Parteifinanzierung als auch eines Begleitgesetzes zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes zum Zwecke des Ausschlusses extremistischer Parteien von Parteifinanzierungen (Drs. 153/17, 154/17) diskutiert wird und wahrscheinlich zeitnahe auch mit einer Änderung des Grundgesetzes und der Begleitgesetzes (z. B. Parteiengesetz) zu rechnen ist.
Es ist beabsichtigt, die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 05.04.2017 (Az.: 8 C 459/17.N) in der HSGZ zu veröffentlichen, sobald eine Entscheidung in dem Revisionsverfahren vorliegt.