Urteile des Bundesarbeitsgerichts – Verjährung und Verfall des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung für nicht genommenen Urlaub nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Nach der seit dem Jahr 2018 bestehenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, der sich das Bundesarbeitsgericht mit einem für das Urlaubsrecht wegweisenden Urteil vom 20. Dezember 2022 (Az. 9 AZR 266/20) angeschlossen hat, kann der Anspruch auf Urlaub nur noch dann verjähren oder verfallen, wenn der Arbeitgeber seine Beschäftigten individuell und konkret auf den Urlaub und den möglichen Verfall bzw. Verjährung hingewiesen hat und sie so in die Lage versetzt hat, den Erholungsurlaub auch tatsächlich zu nehmen.
Ist es nicht möglich, den Urlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu nehmen, ist er abzugelten. Mit Urteilen vom 31. Januar 2023 (Az. 9 AZR 456/20 und 9 AZR 244/20) hat das Bundesarbeitsgericht nun entschieden, dass der Abgeltungsanspruch der Verjährung und auch tarifvertraglichen Ausschlussfristen unterliegt. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet eine zeitliche Zäsur, die sich auf die Schutzbedürftigkeit der Beschäftigten bezieht. Der Abgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch selbst nicht auf Freistellung von der Arbeit zu Erholungszwecken gerichtet, sondern auf finanzielle Kompensation. Die strukturell schwächere Position des Arbeitnehmers, aus der der Europäische Gerichtshof während des bestehenden Arbeitsverhältnisses die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Die Verjährung beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert und ihn über den möglichen Verfall bzw. Verjährung in Kenntnis gesetzt hat. Kommt der Arbeitgeber diesen Informations- und Mitwirkungsobliegenheiten nicht nach, kann der nicht genommene Urlaub nicht verjähren bzw. verfallen und ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten.
Der Abgeltungsanspruch unterliegt seinerseits der Verjährung bzw. dem Verfall. Die Verjährungs- und Verfallfristen beginnen mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu laufen, ohne dass es auf die Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten ankommt.
Endete das Arbeitsverhältnis vor der ersten zugrundeliegenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 6. November 2018 (Az. C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) zu Verjährung und Verfall des Urlaubsanspruchs konnte der Arbeitnehmer aufgrund der bis zu diesem Zeitpunkt anderen Rechtsprechung nicht erkennen, dass der Urlaubsanspruch bis dahin nicht verjährt oder verfällt, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachkommt. Bis dahin galt, dass der Urlaubsanspruch nach den gesetzlichen Fristen verjährt oder verfällt. Erst nach diesem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist der Arbeitnehmer gehalten, Abgeltungsansprüche gerichtlich geltend zu machen. Verjährungs- und Ausschlussfristen begannen erst mit der Bekanntgabe des Urteils im Jahr 2018 zu laufen.