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Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gießen aufgehoben – Grundsteuerfestsetzung nicht individuell unter Hinweis auf § 93 Abs. 2 HGO angreifbar

Mit Eildienstmitteilung Nr. 7 – ED 75 – vom 25.07.2014 hatte die Geschäftsstelle über die im Eilverfahren getroffene Entscheidung des VG Gießen B. v. 16.06.2014, Az.: 8 L 861/14 GI zur Zulässigkeit der Erhöhung der Grundsteuerhebesätze berichtet. Das VG Gießen hatte in dieser Eilentscheidung die Vollziehung von Grundsteuer B Bescheiden, die im konkreten Fall auf einer erhöhten Hebesatzfestsetzung von 340 Prozentpunkten auf 560 Prozentpunkten beruhten, ausgesetzt. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die Hebesatzerhöhung wegen Verstoßes gegen die Einnahmebeschaffungsgrundsätze des § 93 Abs. 2 HGO unwirksam sei, weil die Grundsteuer erhebende Stadt keine Straßenbeitragssatzung besitze. Gleichzeitig hatte das VG Gießen aus den §§ 10 Satz 2, 93 Abs. 2 HGO ein subjektiv öffent-liches Recht des einzelnen Bürgers auf Einhaltung der Einnahmebeschaffungsgrundsätze abgeleitet.

Mit Beschluss vom 05. August 2014, Az.: 5 B 1100/14, hat der Hessische Verwaltungsge-richtshof den soeben dargestellten Beschluss des VG Gießen aufgehoben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof begründet seine Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Hessischen Städte- und Gemeindebundes, der die betroffene Stadt als Bevollmächtigter vertreten hat, zusammengefasst wie folgt:

Der Vorschrift des § 93 Abs. 2 HGO komme keine drittschützende Wirkung gegen-über Gemeindebürgern zu. Der Bundesgesetzgeber habe in Ausfüllung seiner Ge-setzgebungskompetenz durch §§ 25, 26 GrStG die Gemeinden zur Festsetzung der Hebesätze ermächtigt, wobei dieses Hebesatzrecht nur im Rahmen der Gesetze ge-währleistet sei. Im „Rahmen der Gesetze“ bedeute nach Maßgabe der bestehenden Gesetzgebungsbefugnisse. Soweit der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis Ge-brauch gemacht habe, sei für damit nicht in Einklang stehendes Landesrecht kein Raum. Das den Gemeinden unter Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzge-bungskompetenz bundesrechtlich eingeräumte Hebesatzrecht könne mithin nur durch den Bundesgesetzgeber selbst oder mit einer Ermächtigung landesrechtlich einge-schränkt werden. Nach der Ermächtigungsgrundlage § 26 GrStG bleibe dem Landes-recht deshalb lediglich vorbehalten, zu regeln, in welchem Verhältnis die Hebesätze für die Grundsteuer der Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, für die Grundsteuer der Grundstücke und für die Gewerbesteuer zueinander stehen müssten, welche Höchstsätze nicht überschritten werden dürften und inwieweit mit Genehmigung der Gemeindeaufsichtsbehörde Ausnahmen zugelassen werden könnten. Die dem § 93 Abs. 2 HGO durch das VG Gießen gegebene Auslegung sei nicht von dieser Ermächtigung gedeckt, da sie das Hebesatzrecht der Gemeinden der Höhe nach begrenze. Denn das so verstandene haushaltsrechtliche Subsidiaritätsgebot des § 93 Abs. 2 HGO zwinge die Gemeinden nicht nur dazu, in höherem Maße Einnahmen auf der Rechtsgrundlage des Kommunalabgabengesetzes zu erzielen, sondern würde vielmehr zur Nichtigkeit der satzungsrechtlichen Hebesatzfestsetzung führen, wenn die Gemeinde nicht die vorrangigen Einnahmequellen nach dem Kommunalabgabengesetz in dem haushaltsrechtlich gebotenen Umfange ausschöpfe, selbst wenn jene Quellen den Finanzbedarf der Gemeinde nicht in vollem Umfang zu decken vermöchten. Die dem § 93 Abs. 2 HGO vom Verwaltungsgericht beigemessene Auslegung stelle keine zulässige Höchstsatzbestimmung i. S. d. § 26 GrStG dar, denn § 26 GrStG ermächtige in diesem Zusammenhang die Länder lediglich zu regeln, welche Höchstsätze nicht überschritten werden dürften. Unter den Begriff der Höchstsätze könne nach Wortlaut und Sinnzusammenhang nur eine zahlenmäßige Begrenzung der Hebesätze verstanden werden. Eine mit der Sanktion der Nichtigkeit bewehrte landesrechtliche Kopplung der Bemessung des Hebesatzes an die Höhe der Einnahmen der Gemeinde falle somit nicht darunter. In bundesrechtskonformer Auslegung des § 93 Abs. 2 HGO vermitteln die Einnahmebeschaffungsgrundsätze dem Grundsteuerzahler daher kein subjektives Recht auf Senkung des Hebesatzes für die Grundsteuer.

Ferner lägen im konkreten Fall auch keine Hinweise auf eine erdrosselnde Wirkung des Hebesatzes von 560 Prozentpunkten vor. Von einer Erdrosselungssteuer könne erst gesprochen werden, wenn nicht nur ein einzelner Steuerpflichtiger, sondern die Steuerpflichtigen ganz allgemein und unter normalen Umständen die Steuer nicht mehr aufbringen könnten. Hierzu sei von der Antragstellerseite nichts substantiiert vorgetragen worden.

Schließlich sei die Erhöhung des Hebesatzes von 340 Prozentpunkten auf 560 Pro-zentpunkte nicht willkürlich. Dies würde voraussetzen, dass die Steuererhöhung evi-dent unsachlich wäre. Davon könnte ausgegangen werden, wenn die durch die Steu-ererhöhung erzielten Mehreinnahmen nicht zur Erfüllung gemeindlicher Aufgaben er-forderlich wären, sondern etwa der Kapitalbildung der Gemeinde dienen würden, wo-von bei einer defizitären Haushaltslage keine Rede sein könne. Eine punktuelle Kritik an der Ausgabepolitik der Kommune genüge demgegenüber nicht, eine evidente Un-sachlichkeit anzunehmen, sondern stelle lediglich eine Rüge der Fehlerhaftigkeit der Ausübung des kommunalen Satzungsermessens dar, dessen Überprüfung jedoch sowohl dem Gericht als auch den Steuerpflichtigen entzogen sei.

Mit dieser Entscheidung hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Grenzen des ge-meindlichen Hebesatzrechtes klargestellt. Ein individuell einklagbares Recht auf Einhaltung der Einnahmebeschaffungsgrenze nach § 93 Abs. 2 HGO besteht nicht. Das kommunale Hebesatzermessen findet seine Grenzen daher allein in der erdrosselnden Wirkung und der Willkürlichkeit.

Wir bitten um Kenntnisnahme. Dezernat 1-Dr. R./Rau./Ju.