Fachinformationen Asyl / Flüchtlinge

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„Es gibt keine simple Lösungen!“

Editorial von Karl-Heinz Schäfer, Präsident des HSGB in der Hessischen Städte- und Gemeindezeitung, März 2016

Es scheint: "Vieles ist zu wahr, um schön zu sein!" Die Bedeutungsumkehr dieses geflügelten Wortes findet ihre Erklärung in der Betrachtung der gegenwärtigen Lage. Angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Umbrüche und der Spannungen in der Bevölkerung, die mit der aktuellen Zuwanderung von Flüchtlingen verbunden ist, sehnen sich viele nach einfachen Erklärungen und schnell umsetzbaren Rezepten. Die von den Gesinnungsethikern der Willkommenskultur beeinflusste Zeit scheint vorbei. Verantwortungsethik und damit Verantwortlichkeit für die Umsetzung und Erfüllung der Aufgaben nimmt sehr breiten Raum auf der kommunalen Ebene ein und lässt sie die ohnehin große originäre Aufgabenstellung notgedrungen teilweise hintanstellen. Die Kommunalverantwortlichen leisten derzeit landauf landab eine ganz besondere zusätzliche Arbeit. Hierfür gebührt ihnen neben Dank außerordentliche Anerkennung.

Wir wissen, dass es keine simplen Erklärungen z. B. zur Frage gibt, wie viele Menschen unser Land aufnehmen und integrieren kann. Die dies behaupten, haben bisher keine Lösungsansätze vorgelegt und Stammtisch-Fachsimpeleien bieten keine Lösung, die einer Prüfung und der Wirklichkeit standhalten könnte.

Wie kommt es zu diesem Zustand?

Wir müssen mit einem Blick zurück feststellen, dass spätestens mit der Jahrtausendwende sich ein "Feinstaub" über unser gesellschaftliches Bewusstsein zu legen begann. Trotz zwischenzeitlicher Wirtschafts- und Finanzkrise und einer Vielzahl von Notwendigkeiten dürfen wir sicher feststellen, dass in weiten Teilen der Bevölkerung eine wohltuende Behaglichkeit in recht ordentlicher Absicherung des sozialen und wirtschaftlichen Umfeldes eingekehrt ist. Vergleichbar hohe Standards in vielfältigen Lebensbereichen, der Wohlstand einiger gesellschaftlicher Gruppen, relative gute Versorgung des so genannten Mittelstandes, bestehende Sozialsysteme und eine robuste Wirtschaftsentwicklung haben zu einem gefühlten "Wohlfühlbiotop" in Deutschland mitten in einer sehr unruhigen Welt geführt. In der Nachbetrachtung aus heutiger Sicht scheint es, dass sich unser Volk, also 80 von rund 500 Millionen Europäern, in einer Art Bauchnabelperspektive begeben hat und deshalb natürlich in besonderer Weise die Wahrung des eigenen Besitzstandes im Auge hat. Eine solche Perspektive hat in der Historie noch nie funktioniert. Sie kann und wird auch in einer globalen und vernetzten Welt künftig nicht Gewähr für Gelingen bieten. Die Griechenlandkrise hat dies uns deutlich vor Augen führen müssen. Das mühsam entstandene europäische Netzwerk stand und steht gerade wieder in besonderer Gefahr zu zerbrechen. Es ist wie mit einer Kette. Diese ist nur so stark, wie ihr schwächstes Glied. Das gilt auch heruntergebrochen auf unsere bundesdeutsche Gesellschaft.

Gerade jetzt, in einer Zeit, in der unser Biotop an den Rändern auszufransen droht, lohnt es sich, jenseits der aktuellen Tagespolitik über die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft nachzudenken. Nach wie vor unwidersprochen gilt: "Wer nicht weiß, wo er herkommt, der weiß nicht, wo er sich befindet und er weiß vor allem nicht, wo er hingeht."

Was also ist zu tun? Mediziner sagen: Anamnese, Diagnose, Therapie.

Wenn wir den eingangs geschilderten Befund als zumindest einen Teil der Ursache gegenwärtiger Befindlichkeit annehmen, haben wir sicher eine kritische Prüfung unserer eigenen Befindlichkeit, vor allem aber dessen vorzunehmen, was Populisten derzeit als einfache Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme vorgeben.

Wem es gut geht, will, dass es so bleibt. Jeder echte oder scheinbare Angriff auf diesen Zustand, der Veränderungen herbeiführen könnte, bereitet das Feld für die so genannten bürgerlichen Protestbewegungen, wie wir sie insbesondere aus Dresden kennen. Kaum zur Analyse fähig, schon gar nicht zu Schlussfolgerungen, werden dumpfe Parolen verbreitet, die leider bei sehr vielen Menschen mangels eigener Reflexion auf fruchtbaren Boden fallen.

Diesem Treiben ist Einhalt zu gebieten. Niemandem wird mit in Teilen menschenverachtenden Parolen geholfen. Deshalb sind unsere politisch Verantwortlichen an der Spitze unseres Landes zu klaren Bekenntnissen, aber auch Handlungsweisen, aufzufordern, wie auch zu Anstrengungen, wie die Aufnahme von Flüchtlingen gelingen kann. Prüfen wir auch, worauf unser Wohlstand beruht und was wirklich möglich ist, um ihn zu erhalten. Es könnte ja sein, dass der gewinnt, der teilt. Denken wir also darüber nach, ob ein neues solidarisches Handeln nicht auch unseren Kindern und Kindeskindern nachhaltigen Wohlstand sichern würde.

Zu dieser Prüfung gehört auch, was denn unter europäischen Aspekten geschieht, wenn die übrigen 420 Millionen Europäer nicht mehr mit uns "spielen" wollen.

Klare Bekenntnisse tun Not. Realistische Alternativen zu einem geeinten Europa und einem einig handelnden Europa sind nicht ersichtlich. Dies schon allein deshalb nicht, weil unsere Bürgerinnen und Bürger längst viel weltoffener, flexibler und mobiler leben, denken und handeln, als dies etwa Pegida-Demonstrationen weis machen wollen.

Nach barbarischen kriegerischen Auseinandersetzungen auf unserem Kontinent sind Lehren gezogen worden. Wir wissen, dass Völkerverständigung nicht verordnet werden kann. Sie wächst zwischen Menschen, nicht zwischen Staatsgebilden. Bürger und Kommunen vernetzen sich über nationale Grenzen hinweg.

Vor diesem Hintergrund kann die Therapie nur lauten:

Wir sind alle aufgefordert, die bereits bestehende Vielfalt wahrzunehmen, sie zu gestalten und zu leben. Dazu gehört, dass wir den Menschen, die zu uns kommen, ein Zuhause bieten. Migranten sind nicht nur ein wichtiger Zukunftsfaktor in unserem Land, sie sind vor allem auch unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. Hessen, Deutschland, unsere relativ beschauliche kleine Welt wird nur eine Zukunft besitzen, wenn wir das Europa aller Bürgerinnen und Bürger auch wirklich leben. Das ist zu tun.

Die Akteure in unseren Städten und Gemeinden wissen, dass sie bereits jetzt Heimat für eine Vielfalt an Nationalitäten bieten. Deshalb gilt es, ein deutliches Signal zu setzen. Das bedeutet zugleich, die Interessen und die Kompetenzen unserer Kommunen in der internationalen Politik, insbesondere auch in der europäischen Rechtssetzung, verstärkt zu berücksichtigen.

Die kommunale Ebene hat mit hohem Einsatz und immer wieder bewiesen, mit wie viel Energie, Tatkraft und Einfallsreichtum entstehende Probleme gelöst werden können, seien sie lokal, national oder global. Dies gilt auch jetzt wieder und im genannten Zusammenhang.

Wir können sicher nicht vollmundig sagen: "Wir schaffen das". Aber: Es muss unser Ziel sein. Alles andere würde gerade im Hinblick auf die Flüchtlingssituation dem humanitären Grundverständnis widersprechen.

Seien Sie versichert, dass unser Verband an der Seite derer steht, die in diesem Sinne und auch für ein Europa der Kommunen mit Augenmaß, Beharrlichkeit, Mut und Energie für nachhaltige Problemlösungen arbeiten.

Möge es gelingen.

Karl-Heinz Schäfer
Präsident des Hessischen Städte- und Gemeindebundes